Zehnter Rundbrief, in dem ich mich mit der Andersartigkeit Kenias auseinandersetze, in einem kleinen Suzuki mit 4WD über eine ostafrikanische Piste hüpfe und in dem die Welt sich zu drehen beginnt.

Ein Kenianer – ein sitzender Kenianer. Man möchte meinen, dass sitzende Kenianer an sich nichts besonderes darstellen, und so habe ich mich mit der Zeit mit ihnen abgefunden – Hoppla! Da sitz schon wieder einer! – … – „Fast abgefunden“ sollte ich schreiben, denn hin und wieder überkommt mich doch noch die Verwunderung. Stell Dir vor, Du fährst eine Straße entlang – eine kenianische Straße – kilometerlang durch eine Landschaft, die von kleinen dornigen Büschen, Termtenbauten aus roter Erde, ein paar vereinzelten ausgetrockneten Flussbetten und vielleicht einigen wenigen Felsen geprägt wird – und am Rand dieser kilometerlangen Piste sitzt mit einem mal ein Mensch … – Unvermittelt und ohne Vorwarnung taucht er auf, sieht dem vorbeifahrenden Wagen mit einer Kopfdrehung hinterher und verschwindet ebenso plötzlich wieder, wie er auftauchte … – Du beginnst Dich zu fragen, was um alles in der Welt einen menschen dazu bringt, sich an einen Straßenrand zu setzen – und dann noch ausgerechtet an einen, an dem täglich weniger als zehn Autos vorbeifahren… – Nach ein paar Kilometern und drei Flussbettdurchquerungen wirst Du Dich mit der Tatsache abgeben, da Dich die Fragen nicht weiter bringen – beginnst vielleicht sogar zu fragen, ob da wirklich jemand an der Straße saß und fängst wieder an, Dich an der Landschaft zu erfreuen und … Hoppla! – ein sitzender Kenianer …

„Fast abgefunden“ – fasziniert bin ich immer noch… Ich merke jedoch, wie ich mich langsam auf das Leben hier einlassen kann – wie ich die Dinge mit sorgloserer Gelassenheit angehe, das Prinzip der kenianischen Langsamkeit annehme, oft nicht mehr weiter als ein oder zwei Schritte im Voraus denke und die Dinge eher auf mich zukommen lasse – mit einer inneren Ruhe, die ich bisher noch nie gespürt habe. Vielleicht ein Schutzmechanismus, um nicht immer gegen die Wand zu laufen? (…) Aber an der Straße sitzende Kenianer (so „nichts besonderes“ sie auch sein mögen) wirken nach wie vor eine schwer zu beschreibende Faszination auf mich aus…

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Bekanntschaften sind anders (…) In Deutschland wäre ich wahrscheinlich mit vielen der Menschen hier nicht in Kontakt gekommen – und mit vielen hätten sich wahrscheinlich daheim nie über Smalltalk hinausgehende Gespräche ergeben. (…) Der Unterschied hier liegt in dem kleinen Fünkchen gemeinsamer Basis, das es geschafft hat, die Anreisen von oft mehreren tausend Kilometern zu überstehen, sowie der Bereitwilligkeit, sich auf andere Themen und Einsichten einzulassen. (…) So ist Kenia mit seiner ganzen Bandbreite des alltäglichen Lebens das universelle Thema, das als verbindendes Element viele Bekanntschaften in Kapsabet und Umgebung aufrecht erhält: die Wartezeiten in den Banken, die Briefmarkenknappheit bei der Post, Rekorde von gezählten Mitfahrern bei der letzten Matatufahrt und die Artikel, die bei Uchumi in Eldoret wieder einmal ausgegangen sind.

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Freizeit ist anders (…) Allein der wöchentliche Einkauf in Eldoret bringt eine kleine Reise von insgesamt 100 Kilometern mit sich – und so sollte es nicht verwunderlich sein, wenn man an Wochenenden Fahrten von über 400 Kilometern Länge unternimmt. (…) in 2.400 Metern Höhe auf einem drei bis fünf Meter breiten Kraterrand ohne Deckungsmöglichkeiten einen tropischen Regenschauer mitzuerleben, in einem natürlichen Pool unter einem Wasserfall zu plantschen oder die Zweisamkeit an einem kilometerlangen See unter funkelndem Sternenhimmel bei Lagerfeuer und Rotwein genießen…

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Ich liege auf einem von der Sonne erwärmten Stein und lausche dem Pfeifen. Kreischen und Glucksen der Tierwelt, spüre den leichten Windhauch um die Nase und schaue der Sonne zu, wie sie sich bereit macht, langsam hinter den Bergen zu versinken und den Himmel dabei in ein wundervolles Abendrot tauchen wird. „Wenn Du einmal sitzen bleibst und Dich umguckst, dann wird die Welt beginnen, sich um Dich zu drehen.“

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