Nun bin ich schon 1,5 Wochen in San Pedro, meiner neuen “Heimat”. Es haben sich so viele Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse angestaut, dass ich befuerchte, dies wird noch einmal eine laengere email…
Mir geht es auch nach der ersten Eingewöhnungszeit hier noch sehr gut.
Halt. Falls ihr dabei seid, Euch mich hier im Bikini, braun gebrannt unter Palmen am Meer vorzustellen, muss ich Euch leider enttaeuschen… Auch ich habe mich natuerlich in einer derartigen Kulisse ertraeumt,…aber im Moment ist San Pedro alles andere als schoen…Es regnet seit mehreren Tagen eigentlich immerzu. Nein, mehr als das es regnet, nieselt es. Den Himmel habe ich seit Tagen nicht mehr gesehen, – es scheint, als wuerde sich dieses Dorf unter einer dicken, grauen, feuchten Wolke verbergen. Fuer die Natur ist die Feuchtigkeit ein Segen,- denn nach einigen Monaten Trockenheit, die nun schon geherrscht haben, ist eigentlich alles vertrocknet und nichts mehr grün.
Nachteilig ist vor allem, dass der Boden (der ja zum grössten Teil nicht ausphaltiert ist) dadurch sehr aufgeweicht und schlammig ist. Das gemeine an diesem Schlamm ist, dass er ungeheuer klebt und rutscht (der Boden ist sehr Lehm-haltig). Nun gut, – habe mir vor einige Tagen ein paar Gummistiefel gekauft und fühle mich nun gewappnet. Zu meinem Erstaunen muss ich feststellen, dass ich fast die einzige Person bin, die sich mit Gummistiefel fortbewegt…alle anderen müssen wohl täglich mehrere Male ihre Schuhe putzen. …aber so sind sie nun einmal die Küstianer: Immer adrett! Das Wetter bringt es auch mit sich, dass es für diese Breitengrade ungewöhnlich kalt ist. Aber ich sollte vor Euch wohl lieber nicht wegen der Kälte klagen. Wir haben immer noch um die 15 Grad…
San Pedro
San Pedro liegt direkt am Pazifik, hat ca. 2.000 Einwohner und lebt in erster Linie vom Fischfang. Der zweitgroesste Wirtschaftssektor ist die Schuhherstellung (man stelle sich hierbei eine Schuhmanufaktur von von 150 Jahren vor). Das Dorf ist im Durchschnitt sehr arm, wobei es vor allem an Platz (nicht selten gibt es fuer die ganze Familie nur ein Bett), Hygiene (es fehlt vor allem am Hygienebewusstsein und und z.B. vom Wohnhaus getrennte Schweinestaelle), Bildung und medizinischer Versorgung mangelt. Unterernaehrt sind sie dahingegen nicht. Sie sind allerdings sehr unausgewogen ernaehrt. Klassischerweise gibt es einen Mangel an Gemuese und Eiweissen, – und dafuer aber einen extremen Ueberschuss an Reis (teilweise wird 3mal taeglich Reis gegessen) und Fritiertem. Besonders die Frauen sind sehr haeufig von Uebergewicht betroffen.
Das Dorfleben ist recht lebendig. Die einfachen Behausungen scheinen vor allem zum Schlafen zu dienen, denn das Leben findet meist ausserhalb des Hauses statt (zumindest fuer die Maenner). Ausser den Menschen laufen noch zahlreiche Huehner, Schweine, Hunde, Katzen, etc. durch die Strassen.
Von den Menschen in San Pedro wurde ich sehr wohlwollend und mit grossem Interesse und Herzlichkeit aufgenommen. Nach der kurzen Zeit habe ich schon viele “engere” Kontakte und ein kleines soziales Netz knuepfen koennen.
Gynna y los demas
Bislang bin ich San Pedro die einzig Weisse und Auslaenderin. Das Dorf hat so gut wie keinen Tourismus, was fuer mich bedeutet, dass die Menschen doch bei meiner Erscheinung recht aufgeregt reagieren. Kinder kriegen Lachkraempfe, oder laufen vor Angst schnell zu ihrer Mutter (vor allem die Kleineren), winken immer wieder nach mir oder rufen nach ihrer Familie damit ich besichtigt werde. Das ist ja ganz sues… Laestig sind vor allem die Maenner jeden Alters, die mich mit ihren Pfiffen, ihrem Geschmatze und ihrem Nachrufen von Komplimenten stark nerven.
Ihr muesst Euch San Pedro als ein ziemlich langgestrecktes Dorf vorstellen. Es gibt eine asphaltierte Haupststrasse, durch die auch der ganze Kuestenverkehr geht (zum Glueck trotzdem nicht so vielbefahren) und eine Parallelstrasse. Bei dieser habe ich allerdings eher den Eindruck dass ich in die privaten Wohn- und Esszimmer der Haushalte eindringe (da diese, nach meiner Erfahrung eher privaten Raeume sehr nach aussen verlagert sind und oeffentlich gemacht werden…). Ich gehe also eher die Haupststrasse entlang, wenn ich im Dorf unterwegs bin. Hier ballt sich natuerlich das soziale Leben des Dorfes, – denn hier passiert am meisten. Hier sind die Klitzekleinen Supermaerkte angeordnt (es scheint, als habe jedes zweite Haus einen Supermarkt oder Gemuesestand, der sich selbst und noch eine Nachbarsfamilie versorgt…) und die Strassenverkaufsstaende (z.B. fritierte Schweinsstueckchen, gekochte Maiskolben, Pommes, gegrille Fleischspiesse). Jetzt muss man sich vorstellen, wie ich –eine absolut auffaellig westliche Frau mit leider relative blonden Haaren und einer leider recht auffaellig grossen Statur (bemueht, nicht weiter aufzufallen und keinen direkt anzuschauen) diese Strasse in der sich das Dorf aufhaelt entlangschlender… Haette ich ein ausgepraegtes Mittelpunktbeduerfnis wuerde ich dabei natuerlich sehr auf meine Kosten kommen… Leider ist dem nur in einem unwesentlichem Ausmass so. Ich stelle mich also der Herausforderung (anstatt am Strand entlangzugehen, wie ich es aus diesem Grund anfangs ein paar mal gemacht habe) und hoffe darauf, dass sich die Aufregung nach dem Gesetz der Desensibilisierung bald legt. Ich merke allerdings dass ich aufgrund meiner Spanischkenntnisse, meiner Arbeit in dem Dorf und meines relativ langen Aufenthaltes Ernst genommen werde und das mir, wenn erst einmal ein Gespraech stattgefunden hat, mit Respekt begegnet wird.
Machismus und Rollenbilder
Erst jetzt, wo ich ein wenig in das Leben in San Pedro eintauche wird mir klar, welch ein fortschrittliches Bild ich von Ecuador hatte (und dieses war natuerlich im Vergleich zu meinem Bild von Deutschland/Europa sehr rueckstaendig). Die Stand – Land – Unterschiede in Ecuador sind noch einmal sehr gravierend. Von der Armut und der deutlich geringeren Bildung (meistens werden nur 5 Schuljahre besucht, und es gibt immer wieder Kinder, die gar nicht zur Schule gehen) einmal abgesehen, interessieren mich vor allem die geschlechtsspezifischen Unterschiede. Der Machismus ist hier auf dem Land wesentlich staerker vertreten als in der Stadt (nach meiner Feststellung). Es gibt dafuer tausende Beispiele, – und taeglich fallen mir mehr ein. Natuerlich wird der klassischen Rollentrennung in fast allen Familien fast bilderbuchartig entsprochen. Doch es gibt noch viele weitere Beispiele, wo die Auswirkung des Machismus feststellbar ist. Frauen trifft man auf der Strasse nie allein. Sie sind immer mit einer Freundin, Familienangehoerigen oder sonst jemandem zusammen (aus Schüchternheit? Unsicherheit?). Hinter dem Steuer sieht man sie nie. In Kneipen, Restaurants, Billardclubs, Spielhallen, etc. sieht man sie ebenfalls nie. Frauen treiben auch kein Sport. Ich habe beispielsweise noch keine Frau gesehen, die am Strand joggen geht. Das Denken und die Lebensausrichtung der Frau scheint sich allein auf das Kinderkriegen und das Führen des Haushalts zu beziehen. Natuerlich gibt es diesbezueglich auch in groesseren Staedten Ecuadors ein eindeutiges Ungleichgewicht, aber hier gibt es einfach keine Ausnahmen. Und das ist schon ein grosser Unterschied, denn er zeigt mir, dass der Zustaendigkeits- und Aufenthaltsbereich der Frauen sehr klar definiert (und dabei eingeschraenkt) ist.
Fuer mich zieht dies nach sich, dass ich als Frau ebenso viele Plaetze nicht betreten kann (um nicht als verrueckte “Gringa” in Verruf zu geraten…). Auch am Strand duerfte/sollte ich mich natuerlich klassischerweise nicht allein aufhalten. Aber dieses Vergnuegen lasse ich mir nicht nehmen. Ich habe natuerlich als “Gringa” was die Rollenerwartung angeht einige Privilegien und einen weiteren Spielraum. Und es macht mir auch Spass, die Rollenvorstellungen auf beiden Seiten ein wenig zu verwirren und in Frage zu stellen (z.B. indem ich verkuende, dass mein Freund derjenige bei uns bist, der sich um die Kueche kuemmert (;), oder das meine Mutter trotz 4 Kindern nie aufgehoehrt hat, zu arbeiten). Doch weiss ich auch, dass ich dennoch vorsichtig sein sollte mit dem Ausnutzen meines Gringa-Privilegs…hier mache ich mir allerdings nicht zu grosse Sorgen, denn ich merke auch, dass ich die Menschen hier gut in ihrer Belastbarkeit einschaetzen kann.
Wohnsituation
Bis vor wenigen Stunden noch habe ich ausserhalb San Pedros in einer Hotelanlage gewohnt, wo ich ein eigenes kleines Haeusschen gemietet habe. Das war soweit auch schoen, doch wollte ich gerne im Dorf und unter den Menschen des Dorfes wohnen. Gluecklicherweise hat es sich ergeben, dass ich schon bald ein leerstehendes Haus im Dorf aufgespuert habe, wo ich nun also wohnen werde. Bislang ist das Haus noch sehr ungemuetlich, da es sehr dreckig ist, fast voellig leersteht und die Kueche wegen der Toilettenbaustelle (fuer mich wird extra eine Toilette an das haus rangebaut) nicht betretbar ist. Ich denke aber, dass ich es mir nach und anch gemuetlich machen werde. Das Haus liegt im Dreieck zu zwei anderen Haeusern. Wo Grosseltern, Eltern, Kinder (des Sohnes dessen Frau gestorben ist) und Kinder wohnen. Ist ein wenig kompliziert. Doch die Familie ist sehr nett und es scheint so, als wuerde es sehr lebendig zugehen! Ueberhaupt bin ich immer wieder erstaunt, wie das ganze Dorf mitenander verwandt zu sein scheint und vor allem, wie viele Kinder hier so herumfleuchen. (…so fuehlt es sich also an, wenn die Gesellschaftspzramide nach intact ist…). Wenn ich erst einmal eingezogen bin in das Haeusschen, schreibe ich mehr. Im Moment hoffe ich nur, dass sie das haus in meiner Abwesenheit noch etwas wohnlicher gestalten (ein kleiner Hausputz waere schoen, denn das Haus steht schon seit einer geraumen Zeit leer… und ein Bett waere natuerlich auch nicht verkehrt…
Zu guter letzt: News aus Ecuador
Da ich keine Zeitungen gelesen habe (gibt es hier auch so gut wie nicht) und ich bei der Nachrichtenzufuhr vor allem auf die Menschen meiner Umgebung beziehe, sind sie nicht so umfangreich:
1. Ecuador hat am Samstag sein erstes Weltmeisterqualifikationsspiel in Quito gegen Venezuela 1:0 verloren.
2. La Peninsula “Santa Elena” (zu der auch San Pedro gehört) befindet sich im Streik. Anlass des Streiks ist, dass die Halbinsel, die bislang nur ein “Kanton” ist, eine Provincia werden möchte, wobei sie sich von Guayaquil trennen würde. Santa Elena fühlt sich nämlich von Guayaquil ausgenutzt und würde gern selbst über seine Bodenschätze (viel Erdöl) und Einkünfte (vor allem durch den Tourismus und den Fischfang) verfügen. Vor einer Woche hat es Santo Domingo (auch ein ehemaliger Kanton) geschafft, zur 23ten Provinz in Ecuador zu werden. Animiert durch diesen Erfolg, will Santa Elena nun zur 24ten Provinz werden. Um dies zu erreichen hat sich die Halbinsel entschlossen im Streik zu gehen. Das heisst, einerseits, dass die Strassen in der gesamten Kantone gesperrt werden und in Guayaquill und Quito gestreikt wird um die Regierung von ihrem Vorhaben zu überzeugen. Die gesperrten Strassen haben wahrscheinlich den Hintergrund, für Aufruhr zu sorgen. Doch schaden tut diese Aktion vor allem der Region selbst, denn: die Schule fällt aus, Menschen können nicht zur Arbeit gehen (wenn sie weiter weg wohnen), es können keine Waren aus- und eingeführt werden, etc., etc. Zum Glück arbeiten wir hier in Cerleco weiter. Nur eine Therapeutin kann nicht kommen, weil sie in einem anderen Dorf wohnt. Und natürlich kommen auch viele Kinder aus umliegenden Dörfern nicht. Aber mit denen, die kommen wird auf jeden Fall weiter gearbeitet. Morgen trifft sich in Quito die Regierung um u.a. über die Provinzialisierung Santa Elenas zu beraten. Daher wurde die Strassensperre heute aufgehoben damit die menschen nach Quito reisen und da protestieren können. Ich hoffe sehr, dass diese Sperre bald wieder ganz aufgehoben wird…da santo Domingo 20 Jahre darum gekämpft hat, eine Provinz zu werden, befürchte ich allerdings, dass es auch in den kommenden Wochen, Monaten (und Jahren?) noch spannend bleiben wird… Ich halte Euch auf dem laufendem!
Um Eure Aufmerksamkeit nicht noch weiter zu strapazieren werde ich im naechsten Rundbrief von Cerleco, der Einrichtung in der ich hier arbeite berichten.
Asi no mas.
Liebe Gruesse aus der Ferne! Gynna