Nachdem wir uns nun ein paar Tage Schotter- und Sandpisten hinauf- und hinabgekurbelt und uns mit den Raedern durch vom Regen aufgeweichte Abschnitte gewuehlt haben, hat uns der Asphalt kurz vor Tamborapo wieder in Empfang genommen. Insbesondere nach den beiden Tagen an der Grenze tat es gut, die Raeder mal wieder ein bisschen rollen zu lassen und dem leisen Surren zu lauschen. Rueckblickend bin ich fuer diesen kleinen Exkurs in die unterschiedlichen Pistenarten (Sand, Lehm, Schotter, Steine) und -qualitaeten (staubtrocken, glitschignass, schlammig) doch sehr dankbar – insbesondere wenn man bedenkt, was fuer wunderschoene Landschaften und welch grandiose Ausblicke sie uns in den vergangenen Tagen eroeffnet haben. Wir hatten uns ja bewusst dafuer entschieden, die beruehmte (suedlich von Cuenca nicht mehr ganz so stark befahrene) Panamericana zu verlassen und unseren Weg auf kleineren Strassen fortzusetzen. Die einsamen Paesse der vergangenen Tage zaehlen meiner Ansicht nach zu den schoensten Gegenden, die wir bisher durchquert haben. Ich bin immer wieder fasziniert, auf welch kuzer Distanz sich die Landschaft hier radikal wandelt – eben noch in eisigen Hoehen per Du mit den Wolken, kann man sich ein paar Kilometer weiter (und damit etliche hundert Meter tiefer) bei einer Pause wieder die Bananen von den Stauden pfluecken. Aber nicht nur landschaftlich haben die kleinen Pisten eine Menge zu bieten – man erlebt auf Ihnen auch eine besondere Form der Gelassenheit und Urvertrauen: da wir kaum sagen koennen, wie es hinter dem naechsten Pass oder der naechsten Biegung aussieht, koennen wir auch keine Planungen fuer die einzelnen Tagesetappen machen und radeln somit einfach in den Tag hinein – in Tempo und Verlauf immer schoen der Piste folgend…
Gringos! Ein bisschen paradox kommen mir die Situationen in den kleinen Pueblos entlang der Piste vor: Ueberall werden wir von den Kindern mit „Mama, Mama, mira! Gringos!!“ empfangen und wenn wir anhalten, um unsere Wasservorraete aufzufrischen, finden sich binnen weniger Augenblicke im Schnitt 12 Kinder ein, die zunaechst uns und dann unsere Raeder bestaunen. So muessen sich Ausserirdische fuehlen…
An einigen Tagen kann es ziemlich nerven, wenn man auf eine freundliche Begruessung nur ein „Gringo!“ zurueckbekommt, aber dann geht mir oft eben dieser Gedanke durch den Kopf: fuer die meisten Menschen hier sind wir ja tatsaechlich so etwas wie Ausserirdische! Europaeische Radfahrer – mit Gepaeck, Helmen und Sonnenbrillen – sieht man in den kleinen Bergdoerfern wirklich nicht alle Tage…
ps. Gynna befuerchtet, dass wir mit einem ziemlichen Ausmerksamkeits-Defizits-Gefuehl wieder nach Deutschland kommen werden, wenn wir dort nicht fortwaehrend angestarrt und bewundert werden. Vielleicht sollte ich den Baufroeschen fuer die Wiedereingewoehnung vorschlagen, einen Praktikanten anzustellen, der mir einfach nur bewundernd gegenuebersitzen muss. Zwei Wochen sollten genuegen ;o)
Asien Nur wenige Kilometer suedlich von Tamborapo uebernachteten wir auf dem einfachen kleinen Hof eines Reisbauern. Im Gegenzug zu einem kleinen Zeltaufbaukurs wurden wir reichlich mit Fruechten beschenkt und zu einem kleinen Spaziergang durch die Reisfelder eingeladen. Neben den Reisfeldern finden wir hier Kakao, Papaya, Bananen, Mango, Zitronen, Limetten, Kokosnuesse, Guayaba und „Mangopflaumen“, die wir bisher noch nicht kannten.
Die Landschaft am Rande Amazonias sieht in etwa so aus, wie wir uns Thailand vorstellen wuerden: zwei Tage lang radeln wir durch Reisfelder, begegnen dreiraedrigen Motorradrikschen und schwitzen in der schwuel-warmen Luft.
Flens Obwohl die Fahrt nach Jaen einen Umweg bedeutete, haben wir einen kleinen Abstecher gewagt und wurden dafuer reichlich belohnt: gleich bei der Einfahrt in die Stadt begruesste uns ein Flensburger-Schild und Gynna durfte sich ueber das scheinbar hervorragende Marketing des heimatlichen Bierchens freuen. Das erste Flens seit Monaten!
Casa del Cyclista In Jaen trafen wir auch auf den freundlichen Miguel – in seiner Casa del Cyclista konnten wir Gynnas gebrochenes Lenkerhoernchen ersetzen, einen neuen Mantel erstehen, den Staender richten und die Ketten reinigen. Da der Tag noch zu jung und der Asphalt noch zu verlockend war, um die Tagesetappe mit einer Einladung zur Uebernachtung zu beenden, schwangen wir uns am Nachmittag wieder auf die Raeder. Miguel und zwei seiner radbegeisterten Freunde begleiteten uns zur Verabschiedung noch ein Stueck auf der Fahrt ins Amazonastiefland…
Wer jemals in die Naehe Jaens kommen mag, ist mit seinem Velo bei Miguel sicher in guten Haenden!
Amazonas Fuer mich hatte dieser Fluss immer schon einen magischen Beigeschmack. Schwer vorstellbar, dass ein Wassertropfen, der hier in den Anden auf die Erde purzelt, die Fluesse bis zum Amazonas hinabreisen und dann im Atlantik baden kann!
Waehrend wir an einem der drei grossen Zufluesse des Amazonas entlangfahren verabschiedet sich die Sonne hinter den Bergen. Die Strasse ist asphaltiert und nur sehr spaerlich befahren, dazu scheint der Halbmond und es weht eine leichte kuehle Briese – ideale Bedingungen also, um die Reise noch ein bisschen fortzusetzen. Wir werden von zwei Rennradfahrern begleitet, die uns waehrend der Fahrt unterhalten und uns vom Regen der letzten zwei Wochen berichten. Anscheinend hatten wir Glueck, dass wir uns ein paar Tage Aufenthalt in Ecuador gegoennt haben, denn so haben wir die Unwetter hier umgehen koennen. Das eigentliche Ziel unserer Tagesetappe war ein Dorf, dass vor zwei Wochen teilweise vom Fluss fortgespuelt wurde – inclusive der Thermalbaeder und der Kirche, von der nur noch ein mahnender Turm am Strassenrand steht. Inzwischen fliesset der Fluss wieder ruhig vor sich hin und begleitet uns leise plaetschernd auf unserer naechtlichen Fahrt.
Von (wieder einmal) Gynnas Platten auf der Nachtfahrt mitten im Nirgendwo schreibe ich lieber nichts…
Philine
Ein wunderschöner Text, mit dem ich das erste Mal ein wirkliches „Mitreisen“-Gefühl bekomme. Genießt es von ganzem Herzen und mit allen Sinnen.
(Kleine Schritte: Dein Patensohn hat sich heute (aus Versehen) vom Bauch auf den Rücken gedreht. Die Email an dich ist schon 5 Sätze lang.)
H:D.Brix
Erklaert dem besorgten Vater doch mal wieso Gynna immer Plattfuss hat und nie der Ben. Das mit dem Flies, der Regenjacke und den anderen Sachen, die so verschwinden, dass ist nun einmal so bei Gynna, schon immer hatte sie diesbezueglich immer mal Pech. Liebe Grüße von Gynnas Vater
ben
Der besorgte Vater darf sich wieder getrost zuruecklehnen: Gynnas Plattfuesse sind wahrscheinlich das Ergebnis zweier zu klein gekaufter Schlaeuche in den Big Apple Maenteln gewesen (die beiden Schlaeuche sind immer auf der Innenseite beschaedigt gewesen – trotz unbeschaedigtem Felgenband). Das Problem haben wir behoben, indem wir Gynna einfach einen neuen Mantel besorgt und aufgezogen haben. Seitdem laeuft alles super!