Chaco – Filadelfia – Asuncion

Nicht schlecht gestaunt haben wir, als wir nach knapp 250 bis 300 Kilometern „Dornenbusch“ in Paraguay ploetzlich auf eine knapp 100 Kilometer lange „Lichtung“ gekommen sind und gleich von einem Wegweiser nach „Schoenwiese“ und „Schoenbrunn“ begruesst wurden.

Mennoniten – Beeindruckt waren wir von der Geschichte der ersten (europaeischen) Siedler im Chaco: Auf der Suche nach einer neuen Heimat zog es um 1926/27 etliche Mennoniten aus Russland und Kanada (beide Gruppen kamen urspruenglich aus den Niederlanden und Deutschland) mitten in die Dornensavanne Paraguays. Hier wurden ihnen freie Ausuebung ihrer Religion und weitreichende andere Privilegien zugesagt (unter anderem ein eigenes Grundbuchsystem, ein eigenes Schulrecht, autonome Rechtssprechung, zollfreie Wareneinfuhr, etc.). Die Mennonitische Gemeinde war praktisch ein eigener Staat im Staat – und ist es heute immernoch: obwohl die vergebenen Grundstuecke als Privateigentum veraeussert wurden, haelt die Genossenschaft nur einen Titel, um den buerokratischen Aufwand und die Steuern gering zu halten. Ueberhaupt scheint die Genossenschaft Dreh- und Angelpunkt des Wirtschaftens hier zu sein: es wird genossenschaftlich eingekauft, produziert und vermarktet, Versicherungen und Steuern laufen ueber die Genossenschaft und auch der Strassenbau in der Stadt wird von ihr organisiert.
Im kleinen Museum in Filadelfia und durch den im gegenueberliegenden Hotel gezeigten Film „Heimat fuer Heimatlose“ erfuhren wir ein bisschen mehr ueber die lange und aufwendige Bearbeitung der unwirtlichen Landschaft und die entbehrungsreiche Zeit der Siedler. Besonders beeindruckt hat uns das Bild der ersten Siedler, die sich hier mitten im Dornenbusch niedergelassen und ihre Kisten ausgepackt haben, mit Typhus und wilden Tieren zu kaempfen hatten und die einzig und allein durch den Glauben hier gehalten wurden. „Dem ersten der Tod, dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot“ – inzwischen geht es den Siedlern gut: ueberall brausen dicke 4WD-Autos ueber die Pisten, es gibt ein Krankenhaus, eine Zahnklinik, eine Buecherei und mehrere Supermaerkte und auf den Feldern arbeiten neben den Farmern auch die Indianer, die den Chaco vorher besiedelt haben – als Tageloehner oder Lohnarbeiter…
Darueber hinaus hat Filadelfia jedoch nicht viel zu bieten – die Stadt fungiert als Versorgungs- und Verwaltungszentrum und auf Tourismus ist man nicht eingestellt. So ist es wahrscheinlich auch nicht weiter verwunderlich, dass wir ueberall auf unsere Raeder und unsere Radtour angesprochen wurden (selbst im Supermarkt vor dem Regal stehend sprachen uns die Leute noch an – weil sie uns tags zuvor mit den Raedern gesehen hatten – oder haben sie uns wegen der ganzen Schokolade im Korb leicht zuordnen koennen?).

Chaco-Krieg – Beeindruckt waren wir auch von der Macht, die Oelkonzerne auf dieser Welt haben! Als 1932 im Osten Boliviens Oel gefunden wurde, musste ein Weg zum Abtransport gesucht werden. Da Bolivien jedoch keinen Zugang zum Meer hatte und die Grenze nach Paraguay im Chaco nicht genau definiert war, schuerten zwei Oelkonzerne einen kuenstlichen Krieg zwischen Bolivien und Paraguay, um die seinerzeit nicht klar definierte Landesgrenze an den Rio Paraguay zu „verschieben“ und damit den Abtransport des Erdoels ueber den Fluss zu ermoeglichen. Ueber 130.000 Menschen sollen in dem Krieg ihr Leben verloren haben (viele von ihnen jedoch nicht durch Waffengewalt, sondern durch Durst und Versorgungsprobleme), der schliesslich von Paraguay gewonnen wurde. Eine Pipeline von Bolivien gibt es nach wie vor nicht…

Siedler im Chaco – Paraguay hat ein gesteigertes Interesse an der Besiedelung des Chacos: gigantische Landflaechen wurden in den vergangenen Jahren an Privateigentuemer und Investoren veraeussert, die steigende Preise fuer Laendereien in Uruguay und Argentinien nicht zahlen wollten. Gelegentlich kam es dabei auch zu mehrfachen Verkaeufen derselben Grundstuecke, wenn der neue Eigentuemer zwischenzeitlich wieder nach Europa gegangen ist und sich nicht um sein Land gekuemmert hat, so dass es hin und wieder zwei, drei oder mehr Titel fuer ein Stueck Land gibt…
Resultat dieses Ausverkaufs sind kilometerlange Zaeune in der Landschaft, mit denen die einzelnen Estancias voneinander getrennt werden und die dafuer sorgen sollen, dass keines der „ca. 3.000 Rinder“ abhanden kommt (die Estancias in Argentinien sollen bis zu 60.000 und mehr Rinder beherbergen!).
Fuer uns war die Uebernachtung auf einer dieser Estancias (wer kann schon zwei freundlich dreinschauenden Radfahrern am Gartenzaun widerstehen?) ein wahrer Luxus: elektrisches Licht, fliessendes Wasser und eine Koch- und Sitzgelegenheit vor dem Zelt – das hatten wir in den vergangenen Tagen im Chaco selten – vor allem mussten wir den Zeltplatz nicht erst von dornigen Aesten auf dem Boden befreien…

4 Elemente – Drei Buschbraende haben wir auf dem Weg nach Asuncion durchquert und koennen inzwischen von uns behaupten, alle vier Elemente durchquert zu haben: Erde (ein paar kleine Sandstuerme an der Peruanischen Kueste), Wasser (diverse Fluesse in Bolivien), Luft (gelegentliche Gegenwinde in Ecuador und auf dem Altiplano) und nun auch noch Feuer (es brannte auf beiden Seiten der Strasse, war ziemlich heiss und regnete Asche auf uns herab).

Wo Maenner noch Maenner sein duerfen – Der Chaco ist Maennerland. Frauen auf dem Feld oder gar auf der Strasse? Fehlanzeige! Wer hier ueberleben will, muss ein ganzer Kerl sein … das gilt auch fuer Frauen! Nun ja – vielleicht gibt es ein paar Ausnahmen, denn die Abteilung der Haekelliteratur und Makramee-Magazine in der Deutschen Buchhandlung in Filadelfia hat schon ein paar Fragen aufgeworfen…
Hmmm – und wo kann ein ganzer Kerl sich besser beweisen, als vor dem Fernseher mit dem Bier in der Hand oder auf der Strasse mit dem Fuss auf dem Gaspedal? Nicht selten wurden wir von dahinbrausenden Pickups mit (fuer meinen Geschmack) viel zu geringem Sicherheitsabstand ueberholt. Doch gluecklicherweise haben wir das Schicksal der vielen toten Fuechse, Schlangen, Ameisenbaeren und Greifvoegel am Strassenrand (noch) nicht teilen muessen (ich hoffe nur, dass Vater Brix jetzt nicht all zu beunruhigt vor dem Computer sitzt), duerfen mit leicht stolz geschwollener Brust von uns geben, dass wir den Chaco („wie ein Mann“)ueberstanden haben und dass wir inzwischen in der Hauptstadt Paraguays angekommen sind:

Asuncion – Mit dem zentralen Platz, einem kleinen Rundgang durch die Innenstadt und dem ethnographischen Museum haben wir heute schon mehr oder weniger alle wichtigen Hoehepunkte abgegrast, die dieses doch recht verschlafene Zentrum zu bieten scheint. Die einst natuerlich gewachsene Stadt wurde zu Zeiten des Diktators Francia in weiten Teilen abgerissen und nach spanischem Vorbild mit Schachbrettmuster neu errichtet. Zur gleichen Zeit muss die Stadtplanung abgeschafft worden sein, so dass sich Asuncions Zentrum heute als wildes durcheinander von Baustilen, Gebaeudetypen und Bauruinen praesentieren kann. Die meist zweigeschossige Bebauung wird immer wieder durch ein paar Hochhaeuser durchbrochen (hier modisch-schick und dort beton-schroff), von Bauluecken und wilden Parkplaetzen unterbrochen oder durch ein paar Plaetze separiert. Doch so diffus die Stadt auch auf den ersten Blick erscheinen mag – irgendwie haben wir sie in ihrer Absurditaet und Unbeschreiblichkeit doch lieb gewonnen!

Ausblick – Morgen werden wir uns wieder auf die Raeder schwingen und voraussichtlich in drei oder vier Tagen nach Foz do Iguazu fahren, wo sich Paraguay, Brasilien und Argentinien die Hand reichen. Doch dies ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzaehlt werden…

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1 Kommentar

  1. ina

    schön, dass ihr bislang alles überlebt habt. LG Ina